Aufruf zur Auflehnung – Büchner adaptiert: Der Hessische Landbote 2013

14.11.2013
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Rezension von Christiane Reymann.

Dass einer, der nur 23 Jahre gelebt hat, so tiefe Spuren hinterlässt! Georg Büchners Woyzeck gehört zu den am meisten aufgeführten und einflussreichsten Dramen in deutscher Sprache, immer noch lebendig sind seine Stücke Dantons Tod, Leonce und Lena und nicht zuletzt Der Hessische Landbote, den er zusammen mit Friedrich Ludwig Weidig im Juli 1834 verfasste. Keine der ungezählten Artikel und Lobreden zu Büchners 200. Geburtstag – er kam am 17. Oktober 1813 im hessischen Goddelau zur Welt – versäumte, das Motto dieser Flugschrift zu zitieren, jenes „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

Doch allzu oft blieb es lediglich bei diesem Verweis. Einige nur haben den Hessischen Landboten von damals noch einmal gelesen, ganz gelesen, wenige seinen aufrührerischen, revolutionären Geist erfasst und ganz wenige haben ihn in die heutige Zeit übertragen. Zu ihnen gehören die Autoren von Der Hessische Landbote 2013. Büchner und Weidig geistig und politisch verbunden, haben sie eine „aktuelle Sicht auf Zustände und Verhältnisse (verfasst), die reif sind, umgestoßen zu werden“, so die Unterzeile ihrer Schrift. Sie ist etwas länger ist als das Vorbild, mit 40 Seiten aber immer noch knapp.

Büchner und Weidig hatten dazu aufgerufen, sich gegen Knechtschaft und fürstliche Obrigkeit aufzulehnen, die das Volk ausraubt, schindet, peinigt und einkerkert. Sie wollten die Landbevölkerung Hessens zum Sturz der blutsaugenden großherzoglichen Herrschaft befähigen, indem sie ihnen den Spiegel der Wirklichkeit, der tatsächlichen Verhältnisse vorhalten. Auch die Autoren des diesjährigen Landboten wollen, wie sie schreiben, „anstacheln und anstiften zur Auflehnung“, nicht mehr gegen den Absolutismus sondern gegen den – bluttriefenden – Kapitalismus. Dazu wenden sie die Methode ihrer geistesverwandten Altvorderen an. Die Wirklichkeit bilden sie zunächst in Zahlen ab, um sie dann zu interpretieren und das belegte Unrecht, die nachgewiesene Ungerechtigkeit anzuprangern und „das Volk von der Notwendigkeit der Revolution zu überzeugen“ (Nachwort).

Büchner und Weidig stoßen zum gewaltsamen Kern des absolutistischen Großherzogtums vor, indem sie den hessischen Staatshaushalt und einzelne seiner Posten auseinandernehmen. Um zum gewaltsamen Kern des heutigen Kapitalismus vorzustoßen beleuchtet Der Landbote 2013, den mannigfaltigen gesellschaftlichen und globalen Widersprüchen entsprechend, ein breiteres thematisches Spektrum. Er sichtet in neun Abschnitten die Zustände von Armut und Reichtum sowie der neuen Welt der Arbeit, der Kranken und Gesunden, von Bildung, ein Dach über dem Kopf, Flüchtlingen, Asylsuchen, Migrantinnen ohne Papiere, von dem „neuen“ Deutschland, dem Staat, und: Die Zeit ist reif.

Büchner und Weidig verstärkten ihre Anklage mit Texten aus der Bibel. So haben sie in einer aufklärerischen Schrift zugleich die Seele der Menschen angesprochen, schließlich waren vor 200 Jahren in ländlichen Regionen Vorstellungswelt, Gedanken und Moral noch tief und umfassend von den Bildern und Mythen biblischer Religionen geprägt. Derzeit verbindet die Menschen in Hessen und darüber hinaus keine gemeinsame Weltanschauung, die soziale Energie entfalten könnte. So ist die bildmächtige Sprache des Büchnerschen Landboten 180 Jahre später nicht wiederholbar, ihr fehlt das gemeinsame Band und der gesellschaftliche Resonanzboden. Doch die Autoren des Hessischen Landboten 2013 nehmen Büchners Duktus auf und transformieren ihn ins Heute in einer eigenen Sprache als Ausdruck von Unduldsamkeit und Rebellion. Präzise in der Kritik und emphatisch in der Haltung lösen sie ihre Absicht ein, „in aller Kürze und Schärfe die Wahrheit über diese (unsere – CR) Verhältnisse auszusprechen“.

Wie in Büchners Schrift, bleibt auch Der Landbote 2013 nicht bei der Anklage stehen. Er wendet sich an Akteure gesellschaftlicher Veränderungen, hier: „Ihr Menschen in Hessen!“, das jeden Abschnitt einleitet, oder Occupy, Blockupy, Initiativen, Bewegungen, Gewerkschaften, und entwirft die Vision einer Gesellschaft der Freien und Gleichen, „die auf einen staatlichen Herrschaftsapparat nicht mehr angewiesen“ ist. Diese Botschaft zu verstehen setzt lediglich die Bereitschaft voraus, sich auf radikale Gesellschaftskritik einzulassen.

Der Landbote 2013 ist ein Gemeinschaftswerk der unabhängigen Sozialisten Bernd Heyl, Hagen Kopp, Martin van de Rakt, Edwin Schudlich, Franz Segbers, Edar Weick, Helmut Weick und Eva Zinke.

Der hessische Landbote 2013, Peter-Grohmann-Verlag Stuttgart, 3 Euro plus Porto, zu beziehen über den Buchhandel oder Bestellung an kontakt@die-anstifter.de. Die Anstifter vermitteln gern auch eine Lesung mit Diskussion.