Hommage an einen kulturellen Aufbruch

Wir Linken wollen noch viel lernen
24.05.2016
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Wolfgang Gehrcke & Christiane Reymann

Die LINKE, Kulturpolitik und künstlerische Vielfalt – das ist eine Straße mit vielen Kreuzungen, Abzweigungen und Irrwegen. Würden wir unsere Vielfalt an den Überlegungen, Erfahrungen und am Handeln der sogenannten Klassiker schulen statt an unseren berufsmäßigen Pragmatikern, wäre die LINKE lebendiger, ausstrahlender und der „Klassenkampf“ nicht so hölzern und trostlos. Das Verhältnis zu Künstlerinnen und Künstlern und ihr überwiegendes Desinteresse an dem, was wir tun, ist ein Spiegel unserer politischen Genügsamkeit; sie zeigt, wie wenig wir mit der Gesellschaft unseres Landes verbunden, ja, dass wir recht isoliert sind.

Das war schon einmal anders, und es geht anders. Mehr Kultur, mehr Bildung, mehr Intellektualität, mehr Kunst „das muss drin sein“. Der italienische Kommunist Lucio Magri, er gehörte zur Il Manifesto-Gruppe und zu den Intellektuellen in der Italienischen Kommunistischen Partei, beschreibt in der großartigen Abhandlung Der Schneider von Ulm die tausenden Fäden, mit denen die italienischen Kommunisten in der Blütezeit des Kommunismus in Italien mit Kunst und Kultur verbunden waren. Die italienische kommunistische Partei, das war die Partei der Filmemacher und der Diskussion über Filme, der Literatur und des Theaters, der großartigen Pressefeste ihrer Zeitung Unita, die es in fast jeder Stadt und jedem Ort gab, der Selbsttätigkeit und des ehrenamtlichen Engagements. Nichts Vorgesetztes und Gekauftes, sonders Selbsterworbenes prägte ihre Arbeit. Die Ratschläge Antonio Gramscis zur Alltagskultur und seine spezifische Umgangsweise mit Künstlerinnen und Künstlern, die Volksfront-Strategie Palmiro Togliattis trugen ebenso wie die Feinsinnigkeit eines Enrico Berlinguer zu einer Partei bei, die bei Wahlen immerhin bis zu 34% erreichte. Nun kann mensch angesichts der Tristesse der heutigen kommunistischen Bewegung in Italien sagen: Lange ist’s her. Trotzdem zeigt es, was auch einmal Kommunismus in Europa kulturell war: So die Pressefeste der L’Humanité in Paris, der UZ in Düsseldorf, das waren Volksfeste – ein wenig von diesem Flair ist lebendig bei den Veranstaltungen der europäischen und der deutschen LINKEN nach den Ehrungen von Karl und Rosa in Berlin -, Schulen und Schulungen, gemeinsames Essen und der gemeinsame Theaterbesuch, eigene Lieder, eigene Songgruppen und Bands, eigene Schreibwerkstätten, ein Netz an politischer und Volksbildung: Das sind Bausteine für Hegemonie.

Marx und Engels erläuterten ihre Haltung zu Künstlern anhand Balzac, den sie von seinen politischen Überzeugungen her als reaktionären Nostalgiker der Königs-Diktatur sahen, aber in seiner Gestaltungskraft das Gegenteil davon spürten: Einen, der als Freigeist Bilder und Erzählungen schuf, um den Kapitalismus an seinen empfindlichsten karrieristischen und opportunistischsten Verbeugungen vor der Macht bloßzustellen.

Oder blicken wir auf die Caprichos von Goya, der sich immer wieder der Macht andiente, um sie in seinen Zeichnungen dann doch bloßzustellen und zu entlarven, unter Gefahr für Leib und Leben.

Rosa Luxemburg und Lenin haben sich mit der Dialektik der Kunst am Beispiel Leo Tolstois auseinandergesetzt: Sie nannten ihn einen „Narren in Christo“, dessen Devise dem Übel gegenüber duldsam zu sein, sie scharf zurückwiesen. Und dennoch verstanden sie, dass Tolstoi in seinen Romanen schärfste Kritik am zaristischen System übte und so die Revolution von 1905 geistig mit vorbereitete.

1945 standen die Überlebenden der KZ´s und Zuchthäuser nicht nur vor den Trümmerfeldern der zerstörten Städte, sondern auch, und dies ging noch viel tiefer, vor den Trümmerfeldern in den Köpfen der Menschen. Großartiges hat die kleine DDR damals für die Entnazifizierung im Bildungswesen und in der raschen Heranbildung einer Arbeiterintelligenz geleistet. Oder auch für Theatermacher, das war weit mehr als das Brecht-Theater. Peter Weiss fand mit der Ästhetik des Widerstandes seine Heimat nicht nur in seinem schwedischen Land, sondern im Rostocker Volkstheater. Die Debatten um die Filme von Konrad Wolf wühlten ein ganzes Land auf und die Dresdener Kunstaustellung war zu Zeiten „in aller Munde“. Zugleich konnte die Partei (-Führung) immer weniger mit Leistungen der eigenen Künstlerinnen und Künstlern umgehen. Vielleicht waren deren Aburteilung durch die SED, der Bruch mit Christa Wolf und anderen, die Ausbürgerung Wolf Biermanns die Vorzeichen des Niedergangs der DDR. Werner Mittenzwei, Brecht-Biograph und Autor des Buches Die Intellektuellen, das sich mit dem Verhältnis der SED zu Künstlerinnen und Künstlern auseinandersetzt, schrieb: „Wolf Biermann war so naiv, all die Vorgänge nur auf sich selbst zu beziehen.“ Bei seinem Auftritt kürzlich im Bundestag konnte man sich fragen, ob die DDR ihn nicht zurecht rausgeworfen hat. Mittenzwei eben danach und nach den charakterlichen und politischen Ausfällen des Künstlers befragt, antwortet entschieden: „Nein, nein und nochmals nein.“

Eine linke Partei, die über gesellschaftliche Veränderungen nachdenkt, muss lernen, politische Überzeugungen, die nicht unsere sind oder die sich sogar gegen uns richten, in ihrer Dialektik zu begreifen. Das Mindeste, was Leitungen auch der Partei DIE LINKE aus der Gesichte gelernt haben sollten ist, dass Parteileitungen sich aus der Bewertung von Kunst und aus der Gestaltung von künstlerischen Veranstaltungen herauszuhalten haben. Angesichts der Vielfalt linker kultureller Erfahrungen ist es aus meiner Sicht schwer verständlich und nicht hinnehmbar, wenn ein geschäftsführender Vorstand der LINKEN sich bei Veranstaltungen in die Auswahl und die Platzierung von Künstlerinnen und Künstlern einmischt. Warum, so frage ich, darf ein Schauspieler, der eine ganze Nation bewegt, wie Dieter Hallervorden, nicht auf einem Neujahrsempfang der LINKEN auftreten? Etwa, weil er zuvor nicht wie ein reuiger Sünder dem Neoliberalismus in Gänze abgeschworen hat? Zensur hat nichts mit Dialektik, mit Auseinandersetzung, mit Meinungsstreit zu tun. Ein neues Kapitel im Verhältnis Arbeiterbewegung, von politisch organisierter Linker zu Kunst und deren Meinungsvielfalt aufzuschlagen bedeutet auch, sich mit dem Geist der Freiheit, dessen Widersprüchen auseinanderzusetzen und sich deren Dynamik zu öffnen.

Die Aneignung von Kunst kann kollektiv geschehen, die Schöpfung von Kunst auf Bühnen, in Filmen, auf Leinwänden setzt stets eine extensive Praxis der Selbständigkeit, der Individualität voraus. Vor der weißen Leinwand, dem weißen Blatt Papier ist jeder und jede zuerst allein. Künstlerinnen und Künstler müssen mit und in Metaphern die Welten erklären. Sie müssen sich selbst, bei allen möglichen Selbstzweifeln, in gewisser Weise überschätzen, um überhaupt den Weg als Künstler, Künstlerin zu gehen. Und wenn sie sich darauf einlassen  einen Stoffwechsel zwischen ihrer eigenen individuellen Äußerung und Sichtweise und einer politischen Linken herzustellen, brauchen sie für sich (und die politische Linke ebenfalls für sich selbst) ein Klima des Aufgeschlossenheit, des sich irritieren Lassens, der interessierten Kritik.

Die LINKE sollte, da beides zu ihrer Geschichte gehört, die Freiheit der Kunst verteidigen und gleichzeitig die Einschränkung der Freiheit der Kunst, bürokratische Reglementierung und pseudo-staatliche Einflussnahme zurückweisen.

Was Clara Zetkin 1924 Zur Intellektuellenfrage schrieb, trifft heute das Verhältnis der LINKEN zu Kultur, Bildung, Künstlerinnen, Künstlern und umgekehrt. Sie ist „Symptom eines Standes der Dinge von höchster geschichtlicher Bedeutung“ und sie zeigt, „wie tief und unheilbar die kapitalistische Wirtschaft und der auf ihr beruhende Staat, die von ihr getragene Gesellschaft erschüttert sind“. In anderen Worten: Das Verhältnis von politischer Linker zu Kultur, Bildung, Künstlerinnen, Künstlern ist ein Seismograph, ob die Linke zu einer Kraft werden kann, die die Krise des Kapitalismus durch Aufhebung dieses gesellschaftlichen Zustandes lösen kann – oder nicht.  

In der öffentlichen Wahrnehmung verlieren als etabliert geltende politische Kräfte (Personen) deutlich an Einfluss. Nur geht das nicht nach links, sondern nach rechts. Franz-Josef Degenhardt hat das wunderschöne Spottlied „Du bist anders als die andern - einzigartig like a Star“ geschrieben zur allseits propagierten und gewünschten Individualität, die sich dann doch als Illusion erweist. Doch gemeinsam, als Kollektiv können wir tatschlich anders als die andern sein, nicht so einförmig, nicht so kommerziell, ein wenig mehr kollektiv wie zugleich individuell – eben einzigartig like a Star. Vielleicht gäbe es dann auch mehr Künstlerinnen und Künstler, Stars und anti-Stars, die sich darauf freuten, bei uns aufzutreten, mit uns zu diskutieren und uns dann möglicherweise auch bei der einen oder anderen Aktion, es darf auch eine Wahl sein, zu unterstützen.

Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann