Rede des MdB Wolfgang Gehrcke am 7. Juli 2016 im Bundestag zum Antrag der LINKEN (Drucksache 18/8656):

Die NATO durch ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands ersetzen
07.07.2016
Printer Friendly, PDF & Email
Wolfgang Gehrcke

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!

1955 ist die Bundesrepublik Deutschland der NATO beigetreten. 61 Jahre NATO-Mitgliedschaft - es hat noch nie in diesem Zeitraum im Bundestag eine Debatte gegeben: „Wie kann man die NATO ersetzen? Wie kann man sie abschaffen oder überwinden?“, sondern es ist immer nur diskutiert worden: Wie kann man die NATO stärken? Wie kann man rüsten? Wie kann man aufrüsten? Wie kann man NATO-Treue beweisen? - Damit wollen wir Schluss machen.

Wir haben mit unserem Antrag die Debatte eingeleitet, die NATO durch ein ziviles kollektives Sicherheitssystem in Europa zu ersetzen. Wir möchten, dass diese Debatte hier im Bundestag weitergeführt wird, dass sie vor allen Dingen in der Öffentlichkeit geführt wird. Das ist der Sinn unseres Antrags. Ich glaube nicht, dass Sie unserem Antrag zustimmen werden; es würde mich schon sehr überraschen.

Aber Sie werden Ihren Kurs ändern, wenn immer mehr Menschen in diesem Land sagen: „NATO ist nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit“, wenn immer mehr Menschen sagen: „Wir wollen etwas anderes als die NATO“, wenn die Demonstrationen größer werden.

Mich wundert ein bisschen, dass Sie nicht einmal auf einige Kolleginnen und Kollegen aus Ihren eigenen Reihen, die bei Ihnen zumindest früher bedeutsam waren, hören. Also ich bin weiß Gott kein Freund mehr von Gerhard Schröder. Ich war es einmal, ja. Aber das, was er zu Russland sagt, ist vernünftig.  Das, was er zu Russland sagt, finde ich sehr vernünftig.

Ich bin kein Freund von Ischinger, obwohl er die Linke an der Sicherheitskonferenz beteiligt hat. Aber er warnt zu Recht.

Ich lese das, was Gernot Erler zur Sicherheit sagt. Wir diskutieren nicht in allgemeinen Zeiten über unseren Vorschlag, sondern wir diskutieren in Zeiten, in denen eine tatsächliche, akute Kriegsgefahr vorhanden ist. Und dann muss man zu mutigen, neuen Schritten kommen. Ein mutiger, neuer Schritt wäre, die NATO aufzulösen und eben durch ein solches Sicherheitssystem zu ersetzen. Das ist das, was wir Linke wollen.

Wir wollen Frieden in Europa und außerhalb Europas. Aber wir machen keinen Frieden mit der NATO. Wir waren NATO-Gegner und sind es geblieben. Das unterscheidet uns zum Beispiel von den Grünen.

Wir wollen in der NATO-Politik eine Kurswende. Wir wollen heraus aus der Sackgasse, wir wollen heraus aus Konfrontation, und wir schlagen dem Bundestag vor: Überlegen Sie doch einmal, welche Alternativen Sie sehen, oder wollen Sie immer weiter in die Sackgasse rennen?

Ich nenne Ihnen ein paar Gründe. Wir können heute das nachholen, was beim Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages versäumt wurde. Der Warschauer Pakt ist aufgelöst. Die NATO muss jetzt folgen.

Lange Zeit galt die NATO in Deutschland (West) als ein Garant von Sicherheit. Das war im Kalten Krieg. Dieses Bild des Garanten für Sicherheit hat die NATO spätestens mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien verloren. Das war ein völkerrechtswidriger Krieg, und diesen Krieg verantwortet die NATO.

1999 änderte die NATO in Washington ihre Charta und definiert sich nicht mehr nur oder vorwiegend als Verteidigungsbündnis, sondern als Bündnis zur Durchsetzung der Interessen ihrer Mitgliedstaaten. Das ist offen und vielfältig, was Interessen angeht. Nur unter dem Vorwand, dass es ein Verteidigungsbündnis ist, durfte Deutschland überhaupt der NATO beitreten. Denn das Grundgesetz verbietet die Beteiligung an Angriffskriegen, stellt sie sogar unter Strafe. Wenn also aus einem Verteidigungsbündnis ein Angriffsbündnis geworden ist, darf Deutschland nicht mehr in der NATO verbleiben, sondern muss die NATO verlassen. Das ist eine Logik der Dinge.

Wer heute Ja sagt zur NATO, zu NATO-Einsätzen, sagt Ja zu Kriegen und damit zu Handlungen, die außerhalb des Grundgesetzes stehen.

Die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen, dass die Freiheit der Bündniswahl entscheidend ist. Wenn es eine Freiheit der Bündniswahl gibt, muss es auch eine Freiheit geben, die Bündnisse zu verlassen. Sonst hat das Erste keinen Sinn.

Dazu berufen, das zu entscheiden, wäre der Bundestag. Denken Sie einmal darüber nach!

Die NATO steht im Verdacht, an illegalen Putschen in Europa beteiligt gewesen zu sein. Auch das hat Menschen in Distanz zur NATO gebracht. Ich erinnere mit dem Stichwort Gladio - der Geheimarmee der NATO - an Anschläge in Italien. Ich erinnere an die Aktion Prometheus, an den Obristenputsch in Griechenland. Ich erinnere an solche Einrichtungen wie Stay-behind, also an NATO-Geheimarmeen, deren Existenz oder Nichtexistenz nie offengelegt worden ist. NATO in den einzelnen Ländern bedeutet immer eine latente Putschgefahr.

Die NATO verschlingt ungeheuer hohe finanzielle Mittel. 2015 zum Beispiel beliefen sich die kollektiven Ausgaben auf 905 Milliarden Dollar. Zur Beseitigung von Hunger und extremer Armut in der Welt wurden nur 39 Milliarden bis 54 Milliarden Dollar ausgegeben. Jetzt will die NATO mit der Forderung, dass jedes Land mit Ausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zur Finanzierung der NATO beitragen soll, in die Steuerkassen greifen. Was Deutschland angeht, entspricht dies einer Steigerung von 35 Milliarden auf 60 Milliarden Euro. Das ist unverantwortlich in einer Zeit, in der in der Welt Hunger, Armut, Vertreibung, Not und Elend herrschen. Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns das Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, gegen Not und gegen Armut einsetzen. Damit leisten wir mehr für den Frieden in der Welt, als wenn wir die NATO noch weiter aufrüsten.

Keinen Frieden mit der NATO, das ist es, was wir rüberbringen wollen. Wir wollen die NATO ersetzen, und es wäre schön, wenn Sie mitmachen würden.

Herzlichen Dank.