Lektionen

28.10.2016
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Reisetagebuch (2) – Moskau, 28. Oktober 2016

Im Zentrum meines Programms hier in Moskau stehen der Syrien-Konflikt und die deutsch-russischen Beziehungen. Russland baut, so der russische Vizeaußenminister Bogdanow, weiterhin auf eine diplomatische Lösung des Syrien-Konfliktes, was allerdings tiefgreifende Änderungen der westlichen Politik erfordern würde. Russland hatte die Chance eingeräumt, dass die Menschen Aleppo hätten verlassen können. Dazu waren humanitäre Korridore eingerichtet worden. Das dies in Größenordnung nicht geschah, ist auf die Angriffe der dschihadistischen Formationen genau auf diese Korridore zurückzuführen. Die Menschen sollten in Ost-Aleppo bleiben, um lebende Schutzschilde für die Dschihadisten zu sein und gleichzeitig der Welt vorzuspiegeln: so aggressiv sind die Russen und der syrische Staat.

Auf meine Frage, wie das Verhältnis Russlands zu Assad sei, kam die Gegenfrage, ob ich nicht denke, dass die syrische Bevölkerung letztendlich selbst entscheiden werde, wer Präsident in Syrien sein soll. Verblüffend einfach, aber doch logisch. Es lohnt sich schon, darüber nachzudenken, wer jetzt die Macht in Syrien hätte, vielleicht gäbe es auch Syrien gar nicht mehr, wenn Assad und in diesem Kontext auch Russland den westlichen Forderungen nach einem Regime-Change nachgegeben hätte. Nicht das persönliche Schicksal von Assad, obwohl es auch nicht unerheblich ist – man denke nur an das Schicksal von Ghaddafi, ist hier von Interesse. Sondern man muss sich schon die Frage stellen, wer da heute möglicherweise in Damaskus herrschen würde. Al Nusra in Damaskus oder der IS – eine grauenhafte Vorstellung.

Die russische Syrienpolitik ist berechenbar, die Tür für Verständigung mit dem Westen, wenn es wirklich um humanitäre Hilfe und Demokratisierung geht, offen. Regime-Change nach gehabtem Muster, siehe Libyen oder Irak, findet nicht statt.

Das Gespräch war sehr interessant, mein Interesse war groß, aus erster Hand sozusagen Beweg- und Hintergründe zu erfahren. Groß war auch das Interesse auf der anderen Seite, was denkt die Linke in Deutschland? Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Moskau ist offen für den Meinungsaustausch,ja Meinungsstreit ist sogar gefragt. Auch das ist eine Lektion, die man im Westen besser ernst nehmen sollte.