Nie wieder!

30.10.2016
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Reisetagebuch (3) – Wolgograd, 30. Oktober 2016

Mehr als 2 Millionen Menschen, davon eine Million Sowjetbürger, 500.000 deutsche Soldaten sowie ca. eine halbe Million Soldaten aus Italien, Ungarn und aus den Balkanländern, die auf Seiten Hitlerdeutschlands kämpften, wurden Opfer der Schlachten um Stalingrad. Über Rossoschka weht ein heftiger Steppenwind, einzelne Elstern und Krähen inspizieren das Gelände. Hier wächst nur eine Art hartes Moos. Unendlich viele Menschen, verlorene Seelen, haben den einsamen Tod an dieser Stelle erlitten. Sie waren allein, wenngleich viele mit ihnen hier gestorben sind.

Der Tod ist zweigeteilt – auf der einen Seite eine mahnende und ehrende Anlage der deutschen Kriegsgräberfürsorge, auf der anderen Seite eine ehrende und mahnende Anlage des russischen Staates. Auf jedem Grab liegt ein Stahlhelm aufgereiht, alle mit einer Besonderheit: in jedem befindet sich ein Loch oder eine Zersplitterung, dort, wo eine Kugel, ein Granatsplitter sein Opfer fand.

Von der ganzen Anlage, von der Steppe rundherum, auf der nur Krüppelholz wächst, geht ein einziger Ruf aus: Nie wieder!

In der Innenstadt, im Keller des wieder aufgebauten Kaufhauses, gibt es ein kleines, tief erschütterndes Museum zur Kapitulation der 6. Armee des Generalfeldmarschall Paulus. Wer dieses Museum bewältigt, wo nur der Gestank der dort eingeschlossenen Verletzten und Verstorbenen fehlt, schüttelt sich vor dem Hochmut der deutschen Offizierskaste – 'ein deutscher Generalfeldmarschall kapituliert nicht vor einem russischen Oberst, es müsste schon ein russischer General sein' – auch wenn dieser deutsche General an Ruhr leidet und sich dementsprechend die Hosen voll geschissen hat. Aus dem Paulus wurde ein Saulus – das muss man zu seiner Entlastung anfügen. Paulus gehörte später zu den aktiven Mitgliedern des NKFD.

Ich denke an meine Freunde und Genossen, die inzwischen leider verstorbenen Heinrich Graf Einsiedel, der Hitler mit allem, was er konnte und hatte, bekämpft hat, und Gerhard Zwerenz, der von der Wehrmacht desertierte. Heinrich Graf Einsiedel und Gerhard Zwerenz, die beiden Noblen, saßen später für die PDS im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Ehe jetzt wieder einige „Querfront“ schreien: wenn die Paulusse, die Einsiedels, Ulbrichts, Piecks und Bechers rechtzeitig an einer deutschen Volksfront gearbeitet hätten, wären vielleicht die riesigen Opfer vermieden worden.

Mich überkommt eine unbändige Wut; ich möchte, dass alle Bundestagskollegen, die den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen, nach Wolgograd fahren müssen, in die einsame Steppe des Todes und in den Keller des Endes.