„Nichts ist gut in Afghanistan!“

Rede im Bundestag am 15.12.2016
15.12.2016
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Wolfgang Gehrcke

Wir reden hier über 15 Jahre deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan. Die Kriege in Afghanistan sind sehr viel älter; das ist überhaupt keine Frage. Wir haben unendlich viele Debatten hier im Bundestag geführt - das ist richtig und wichtig -, aber ich muss ehrlich sagen: So viel Dreistigkeit wie diesmal habe ich bisher bei keiner Debatte erlebt. Das macht mich wirklich fassungslos.

(Beifall bei der LINKEN)

Das müssen Sie den Menschen doch mal erklären: Sie beantragen die Verlängerung des Mandates mit der Begründung, dass die Sicherheit in Afghanistan nicht gegeben ist - deshalb müsse man das Mandat der Bundeswehr verlängern. Ich halte das alles für falsch, aber das ist Ihre Begründung. Gleichzeitig schieben Sie Flüchtlinge, die hier Schutz gesucht haben - gestern waren es 34, die abgeschoben worden sind -, mit der Begründung nach Afghanistan zurück, dass es ein sicheres Herkunftsland ist.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Nicht mit der Begründung!)

Das begreift keiner mehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit solch einer Begründung können Sie doch gar nicht abschieben.

Das Triumphgeheule aus Bayern, von denjenigen, für die 34 Abschiebungen nicht auslangen, sondern es einige Tausend sein sollen, ist doch nicht zu überhören. Die Glückwunschschreiben der AfD müssen sich doch bei Ihnen stapeln, wenn Sie so vorgehen. Es ist unfassbar und völlig inakzeptabel, was Sie hier machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe mich über jeden gefreut, der gestern am Frankfurter Flughafen gegen die Abschiebung demonstriert hat. Ich möchte, dass die Menschen in diesem Lande für Frieden in Afghanistan, aber auch dafür, dass die afghanischen Flüchtlinge hier zu Hause sein können, auf die Straße gehen und sich einsetzen. Das ist eine vernünftige Politik, zumindest aus Sicht meiner Fraktion.

Gleichzeitig bitte ich Sie, mal über die Afghanistan-Entscheidungen nachzudenken, die hier unter jeglicher Couleur, jeglichen Regierungsfarben, getroffen worden sind: Rot-Grün zu Beginn, dann Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot. Alle hier vertretenen Fraktionen außer dem gallischen Dorf der Linken ...

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

... waren daran beteiligt. Und die Argumente sind immer schlechter geworden. Das war der Mühlstein, der die deutsche Außenpolitik immer weiter runtergerissen hat.

Denken Sie an das Argument, die deutsche Sicherheit solle am Hindukusch verteidigt werden. Die deutsche Sicherheit ist nicht am Hindukusch verteidigt worden. Die Gefahren sind immer größer geworden. Ich denke an den Tötungsbefehl des Oberst Klein in Kunduz; es war ein deutscher Oberst, der einen solchen Befehl gegeben hat. Ich denke auch, Herr Außenminister, an die ganze Debatte über Murat Kurnaz. All das ist Teil der Auseinandersetzung über die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan. Ich finde, gerade Sie als sozialdemokratische Partei sollten sich von dieser Katastrophe lösen und einen anderen politischen Weg einschlagen. Das wäre vernünftig. Ansonsten geht es in der Außenpolitik immer weiter bergab. Aus diesem Dilemma kommen Sie nicht raus. Sie müssen sich so oder so entscheiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fordere Sie auf, darüber nachzudenken, ob sich die Mehrheit dieses Parlaments nicht bei der damaligen Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Frau Käßmann, entschuldigen muss. Der klassische Satz von Frau Käßmann: „Nichts ist gut in Afghanistan“ ist stimmig und trägt.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Der ist grundfalsch!)

- Dass er Ihnen nicht passt, ist mir schon klar. Sonst streiten Sie doch immer für die Kirche, Herr Kauder, ...

(Volker Kauder (CDU/CSU): Grundfalsch!)

... aber wenn es mal kritisch wird, dann ist alles vorbei. Das war damals eine richtige Grundbeurteilung.

(Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Nein, war es nicht!)

Nichts ist gut in Afghanistan.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

220 000 Menschen sind in dem Krieg umgekommen. Ist das gut? Was ist in Afghanistan nicht alles zerstört worden! Die NATO hat sich so positioniert, dass immer mehr Menschen zu den Terroristen übergelaufen sind. Heute betreiben Sie eine Politik, durch die am Ende nicht die Taliban, sondern der „Islamische Staat“ noch stärker wird. Wer mit Drohnen in Afghanistan tötet, treibt die Menschen in die Scheuer des „Islamischen Staates“. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Da können Sie doch nicht sagen, dass alles gut ist in Afghanistan oder besser geworden ist.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wir haben nicht gesagt, dass alles gut ist!)

Das alles bleibt unterm Strich stehen. Deswegen kann man Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir werden den Antrag ablehnen; das ist sowieso nicht das Problem. Aber immer mehr Menschen in unserem Lande sagen: Mit einer solchen Politik wollen wir nichts zu tun haben, und das zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

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