Die Guten und die Bösen

Essay von Daniela Dahn, erschienen in Freitag: Ausgabe 48/2016
11.12.2016
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Daniela Dahn

Märchen - Eine einseitig ausgerichtete Presse prägt die Deutung der Schlachten von Aleppo und Mossul

Es war einmal ein militärischer Angriff auf eine islamische Al-Qaida-Hochburg, der war von Anfang an verwerflich, ja ein Kriegsverbrechen. Einfach weil die Muschiks, die russischen Soldaten, machen konnten, was sie wollten, es kam immer ein abscheuliches Verbrechen heraus. In diesem Fall Aleppo, das nun in Assads Hände zu fallen droht. Es war ein Kampf gegen Aufständische mit Anstand, die mit westlichen Waffen wacker gegen den Despoten kämpfen, der unsere Absichten stört. Sicher, auch sie sind Islamisten, die ein Kalifat anstreben, aber ein demokratisches. Es sind nämlich unsere Islamisten. Die wir jederzeit fallen lassen können, wenn sie tatsächlich für ihre Interessen kämpfen und nicht für unsere. Zeugen zum Treiben dieser Glaubensbrüder waren bedauerlicherweise unauffindbar. Diktator Assad und die Russen führen gegen sie dennoch keinen der humanitären Kriege, wie bei uns üblich, sondern einen Krieg ohne Erbarmen. Mit verbrecherischen Bomben.

Es war auch einmal ein militärischer Angriff auf eine IS-Hochburg, der war von Anfang an rechtschaffen, ja eine heldenhafte Großoffensive. Mit humanitären Bomben, deren gezielter Tod nicht so qualvoll ist. Eine echte Alternative zum IS-Alltagsterror im irakischen Mossul. Um diese Einsicht zu befördern, kann man dessen unbezweifelbaren Schrecken nicht anschaulich genug schildern. Reporter konnten sich, im Gegensatz zu Aleppo, auf geflüchtete Augenzeugen berufen, um unsere berechtigte Wut wachzuhalten: brutale Hinrichtungen, Frauen, selbst hochschwangere, werden gefoltert, sie müssen nicht nur Vollschleier, sondern auch Handschuhe tragen. Kinder dürfen nicht mal Ball spielen und erzählen von abgehackten Händen.

Da kann man doch nicht einfach wegschauen wie in Aleppo, wo nichts zu sehen ist. Da muss man doch Verantwortung übernehmen. Vier von fünf UN-Vetomächten suchen derzeit in Syrien Bombenerfolg.

Mandat? War da mal was? Was zählt ein Stück Papier, wenn die Terroristen in Mossul Zivilisten als Schutzschilde nehmen. Nie hat man Vergleichbares von unseren mäßig gemäßigten Rebellen im Osten Aleppos gehört. Als Staffan de Mistura, der UN-Sondergesandte für Syrien, sich überflüssigerweise schockiert zeigte über den rebellischen Beschuss von Wohnvierteln in West-Aleppo mit geächteten Waffen, verfielen wir taktvoll in bombastisches Schweigen.

Stattdessen sendete der ARD-Weltspiegel-extra eine Reportage, die mehrfach wiederholt wurde. Darin versichert ein ranghoher Soldat der irakischen Armee, dass alle Angriffsziele erst gründlich untersucht würden – sind Kinder in den Häusern oder Alte? Wenn ja, würde eben nicht bombardiert. So wünscht man sich das, so sehen gerechte Kriege aus, das ist friedensnobelpreisverdächtig. So sauber ausgewählt wird im Häuserkampf der Eineinhalb-Millionen-Stadt Mossul. Deren Bewohner ein Durchschnittsalter von 20 Jahren haben. Da sind sowieso ganz selten Kinder darunter.

27.000 PR-Spezialisten

In Ost-Aleppo dagegen, wo etwa sechsmal weniger Menschen leben, weil viele im Laufe des Stellvertreterkrieges der Großmächte schon geflohen sind, da gibt man sich gar keine Mühe, Zivilisten zu schonen. Wie der Einsatz von Chemiewaffen zeigt. Okay, nach den verheerenden Snowden-Papieren und dem investigativen Bericht des US-Journalisten Seymour Hersh konnten die mehr als 1.500 Toten des Saringas-Angriffs vom August 2013 bei Ghuta von seriösen Autoren Assad nicht mehr untergejubelt werden. Aber unlängst haben UN-Experten von neun Gasangriffen aus Hubschraubern auf Dörfern in den Jahren 2014 und 2015 zwei der syrischen Armee zugeordnet. Genaue Opferzahlen gibt es nicht, gelegentlich werden 13 getötete Menschen genannt. Und schon stimmt die Erzählung wieder: Der Tyrann Assad sichert seinen Machterhalt durch das Bombardieren seines eigenen Volkes. Da kann dieser im Schweizer Fernsehen noch so oft behaupten, man könne nicht gegen seine eigenen Leute gewinnen. Die Mehrheit der Zivilisten würde von Granaten der Terroristen getroffen. Es habe eigene Fehler gegeben, aber es gebe keinen sauberen Krieg in der jüngeren Geschichte. „Jeder Krieg ist ein schlechter Krieg“, so Assad. Solche Propaganda senden wir nicht.

Wie wir unsere argumentatorische Eleganz in den Medien immer so flächendeckend hinkriegen, hat zu unserem Missvergnügen 2009 der damalige Chef der US-Nachrichtenagentur AP, Tom Curley, publik gemacht. Wir konnten seinen Angaben nicht widersprechen, wonach im Pentagon 27.000 PR-Spezialisten mit einem Jahresbudget von fast fünf Milliarden Dollar arbeiten. Sie beeinflussen Agenturen und Medien mit gezielten Nachrichten und Desinformationen. Allein 2009 brachten es diese Pentagon-Lobbyisten auf lobenswerte 54.000 Pressemitteilungen, gut 3.000 Fernsehspots und 1.600 Rundfunkinterviews. Deren Wirkung können sich zum Glück auch Institutionen wie die Vereinten Nationen nicht entziehen. Vorsichtshalber bedrohten hohe Generäle Chefredakteur Curley nach dessen Angaben, sie würden ihn fertig machen, wenn seine Agentur allzu kritisch über das US-Militär berichten würde. Immerhin konnte er damit an die Öffentlichkeit gehen.

Die Sorgen einiger Ängstlicher, solche Berichte könnten irgendwelche Proteste auslösen, waren aber vollkommen unbegründet – niemand war überrascht. Alle wissen, wie es läuft. Schließlich ist das Pentagon mit seinen 3,2 Millionen Militär- und Zivilbeschäftigten der größte Arbeitgeber der Welt. Da fallen doch 27.000 PR-Leute gar nicht auf.

Die Folgen ihres Tuns erfreuen sich großer Akzeptanz unter den meisten Journalisten und Lesern oder Zuschauern der Medien, auf die es ankommt. Nur ein paar Forscher nörgeln gelegentlich, wie die von Swiss Propaganda, die im Juni einen Bericht vorlegten. Sie hatten unnötigerweise die Syrien-Berichterstattung der drei jeweils größten Zeitungen in Deutschland, der Schweiz und Österreich in der Zeit unmittelbar nach Eintritt Russlands in den Syrienkrieg untersucht. 78 Prozent aller Artikel basierten auf Meldungen der großen Agenturen, null Prozent auf investigativer Recherche. Die Ausrichtung der Meinungsbeiträge, Gastkommentare und Interviewpartner war in der Welt, der Süddeutschen Zeitung, der Neuen Zürcher Zeitungund dem österreichischen Kurier zu 100 Prozent NATO-konform. Was will man mehr. Nur die FAZ schwächelte etwas mit einem ausgewogenen Beitrag. Alle Zeitungen haben Propaganda zu 85 Prozent in Russland verortet, zu null Prozent in NATO-Staaten.

Es hat nichts mit Propaganda zu tun, wenn Überlegungen, die es aus guten Gründen nicht in die PR-Agenturen schaffen, einfach nicht vorkommen. So erübrigt das hilfreiche Narrativ von den guten und den schlechten Bomben die unerwünschte Frage, ob die Bombardiererei im Kampf gegen islamistischen Terrorismus überhaupt etwas ausrichten kann. Außer unermesslichem Leid. Der Krieg gegen den Terror – ob geführt von der US-dominierten Koalition der Willigen oder der russisch dominierten Koalition der Unwilligen – hatte bisher zu unserer maßlosen Überraschung nirgends eine andere Wirkung, als den Terror zu vervielfachen. Genau das muss die Absicht sein, wenn dieser Krieg dennoch fortgeführt wird. Sonst käme man noch auf die Idee, Terrorismus, dieser auf teuflische Weise politisch gezeugte Homunkulus, könne auch nur politisch gebändigt werden. Vielleicht gar dadurch, mit diesen selbsterzeugten Ungeheuern zu reden.

Originelle Begründung

Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass der Krieg schnell beendet sein könnte. Wenn nämlich die Regime-Changer einlenkten und zugäben, dass es in Syrien trotz allem derzeit niemanden gibt, der mehr Rückhalt in der Bevölkerung hat als Präsident Assad. Fehlt noch, dass er Syrien zusammenhalten und früher oder später von internationalen Beobachtern kontrollierte Wahlen durchführen könnte, deren Ergebnis er wie behauptet akzeptiert. Für Selbstbestimmung sind die Syrer einfach noch nicht reif.

Denn was heißt hier, der Westen versuche jede Regierung zu stürzen, die ihm nicht gefällt. Die Vorherrschaft im Nahen Osten ist Voraussetzung für unser heimisches Wohl. In dieser Gegend gibt es überall Öl. Es wird wohl noch erlaubt sein, unsere Verbündeten zu unterstützen, etwa beim ungehinderten Transport saudischen Öls bis zum Suez-Kanal. Wenn Assad sich nicht erdreistet hätte, den Russen Förderrechte vor seiner Küste anzubieten, hätte er sich manches ersparen können.

Die humanitären Sanktionen des Westens gegen Syrien, besonders im medizinischen Bereich, haben Wirkung gezeigt und Menschen sterben lassen. Aber schließlich weiß doch jeder, dass das ganze Elend erst mit dem Eingreifen der Russen an Präsident Assads Seite begonnen hat. Aktivisten zufolge, schrieb unlängst die Zeit, soll Russland für bis zu 10.000 Tote verantwortlich sein, darunter 3.800 Zivilisten. Zugegeben, Staffan de Mistura geht von mindestens 400.000 Toten in Syrien vor Russlands Einmischung aus. Aber man soll nicht vom Wesentlichen ablenken: Kanzlerin Merkel spricht erst seit Russland im Spiel ist von „menschenverachtenden Bombardierungen“.

Haben die NATO und ihre Führungsmacht USA doch nach dem Zweiten Weltkrieg Maßstäbe gesetzt, für menschenachtendeBombardierungen. Angefangen vom großflächig eingesetzten Agent Orange in Südvietnam, das nur der Entlaubung diente, über Uranmunition, Clusterbomben und die Zerstörung chemischer Einrichtungen im Jugoslawienkrieg. Bis zu Phosphorbomben im irakischen Falludscha gegen Rebellen und Zivilisten, wozu der damalige Premierminister Blair überzeugend versicherte, sie hätten nur den guten Zweck gehabt, „Rauch zu erzeugen“. In dem in diesem Sommer erschienenen, 1.200 Seiten starken neuen Pentagon-Handbuch „Gesetz des Krieges“ ist die Massentötung von Zivilisten, genau wie im alten, selbstverständlich verboten. Es sei denn – wie auf Seite 187 hinreichend erklärt –, die Befehlshaber halten Angriffe auf zivile Ziele für militärisch notwendig und erfolgversprechend.

Deshalb darf es auch nicht verwundern, wenn für solche Sonderfälle angeblich inhumane Waffen wie Streubomben weiter hergestellt und gehandelt werden. Die Kritik von Facing Finance läuft daher ins Leere, wenn diese NGO deutschen Banken und Versicherungen vorwirft, mit Investitionen von 1,3 Milliarden Euro an der Herstellung geächteter Waffen beteiligt zu sein. Allen voran die Deutsche Bank Group, aber auch die staatlich geförderte Riester-Rente hat Anlagen von mehr als 500 Millionen Euro in diesen profitablen Unternehmen gezeichnet. Schließlich soll es unseren ahnungslosen Rentnern einmal besser gehen.

Die Bundesregierung hat sich für ihren Antrag, das Parlament möge den Einsatz der Bundeswehr nun auch auf Rakka ausdehnen, eine originelle Begründung ausgedacht. Da die syrische Regierung nicht in der Lage sei, Angriffe aus Rakka auf den Irak zu unterbinden, greife das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung. Zwar ist im ganzen Internet von solchen Luftangriffen nichts zu lesen. Aber no problem – PR-Experten, übernehmen Sie. Schließlich waren Sie doch auch bei der Formulierung dehnbarer Resolutionen des UN-Sicherheitsrates hilfreich. Die genügen als Legitimation.

Ziel erreicht, wenn der doppelte Standard ein einfaches Standing ermöglicht. Es war einmal ein Völkerrecht. Das hat von Anfang an nur Scherereien gemacht. Heute schert es niemanden mehr.

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